Wer hat Angst vor dem Neuen?

Eine Invention erlaubt die Entwicklung von etwas Neuem – etwa einer Erfindung oder Entdeckung – zu einem Markterfolg. Dann erst würde ich von Innovationen sprechen. Da Unternehmen auf Märkten im Wettbewerb stehen, streben gut geführte Unternehmen permanent danach, denn wenn sie ihnen gelingen, schaffen sie besondere Gewinnmöglichkeiten. Und damit sind wir schon bei einem der wichtigen Gründe dafür, warum erfolgreiche Unternehmen sich fast permanent verändern: Der Wettbewerb zwingt sie dazu. Sie müssen innovativ sein, oder sie laufen dem Markt hinterher.

Nicht immer sind die Menschen in den Unternehmen der Auffassung, dass Veränderungen wünschenswert sind

Grannemann und Burisch haben sich damit beschäftigt. Sie sagen, dass der Wunsch und Wille bei Veränderungen mitzugehen und ein gutes Selbstwertgefühl am Arbeitsplatz etwas voraussetzen, nämlich den sog. gesunden Handlungsstrang. Das Ziel des eigenen Wirkens soll für Mitarbeiter aus jeweils individueller Sicht klar und vorstellbar sein. Ein inneres Bild sollte hervorgerufen werden, dass aus individueller Sicht auch für erreichbar gehalten wird. Ohne klares Ziel ergibt sich kein Bild und keine konkrete innere Vorstellung. Das führt zu einer bekannt wichtigen Aufgabe der Unternehmensführung.

Ziele müssen erkennbar und verstehbar sein

Besonders wichtig ist dabei der Weg zum Ziel. Mitarbeitende sollten einzelne Schritte verstehen und erkennen können, aus denen sich der Weg dann ergibt. Sie fragen sich, welcher Aufwand, also welche individuelle Anstrengung entsteht mir durch die Änderung oder auf dem Weg zum Ziel? Natürlich prüfen alle immer mal wieder – ausdrücklich oder beiläufig – ob ihr Aufwand oder die eigene Anstrengung und der sich ergebende Nutzen in einem „vernünftigen“ Verhältnis stehen. Was dabei als nutzenstiftend und vernünftig angesehen wird, kann dann natürlich bei jedem einzelnen Mitarbeitenden sehr unterschiedlich sein.

Eine Belohnung oder Anerkennung gehört ebenfalls zu den wichtigen Bestandteilen eines gesunden Handlungsstrangs. Wird Mitarbeitenden Anerkennung zuteil, dann wird ihnen verständlich, dass ihre Arbeit für das Unternehmen Bedeutung hat. Das trägt zur Sinnstiftung bei und dazu, das Verhältnis von individuellem Aufwand und individuellem Ertrag günstig zu beeinflussen.

1. Klare Ziele?
2. Berechenbarer Aufwand?
3. Klare Belohnung?
4. Nutzen bzw. Sinn?

Nun stellen Sie sich vor, dass durch die Arbeit im Unternehmen eine Reihe solcher Handlungsstränge entsteht. Man spricht dann auch von funktionierenden Handlungsepisoden.

Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Handlungsepisoden als funktionierend beschreiben und die Unternehmensführung es geschafft hat, das so herzustellen oder dies zu unterstützen, sollten eigentlich alle zufrieden sein, oder?

Führungsaufgabe Change – Veränderung ohne Erschütterung?

Aber nun erschüttern die Veränderungen – hervorgerufen u.a. durch Innovationen – die Wirkungs- und Kräfteverhältnisse der vier Dimensionen. Die Veränderungen werden ausgelöst durch das Handeln von Wettbewerbern auf den Märkten, oder durch schleichende oder auch massive (disruptive, also zerstörerische) Innovationen. Wie ich schon sagte müssen die ja auch im eigenen Unternehmen entdeckt werden, immer im Streben nach Gewinnmöglichkeiten, auf die das Unternehmen angewiesen ist.

Sich unternehmerisch einer Invention zu öffnen bedeutet, dass tatsächlich Neues in der Welt von Mitarbeitenden auftaucht, aber dieses Neue kann nun die vormals gesunden Handlungsepisoden verletzen oder irritieren. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen ja nun plötzlich anders handeln und arbeiten. Ziele können deutlich diffuser für sie werden, weil die Betroffenen selbst, aber auch die Unternehmensführung noch nicht genau wissen, ob die Innovation auf dem Markt erfolgreich sein wird. Neue Aufgaben können mit sehr hohem oder noch unbekanntem persönlichem Aufwand verbunden sein, weil es noch keine hoch entwickelten Routinen gibt, die eine „optimale“ Erledigung beschreiben und ermöglichen. Und somit ist vorerst auch die Belohnung noch vage.

Wer erwartet von Menschen keine menschlichen Reaktionen?

Es könnte darum eine ganz natürliche menschliche Reaktion sein, den Sinn und Nutzen des Ganzen in Frage zu stellen. Mitarbeiter könnten ihre Inputbeiträge zurückhalten, also weniger leisten, weil sie der Veränderung etwas ausweichen oder die Wirkung auf sie selbst zumindest reduzieren wollen. Sie wollen sozusagen den Aufschlag bremsen, damit es sie nicht voll erwischt.

Das Dilemma des Managements besteht so gesehen darin, dass einerseits gesunde Handlungsstränge hergestellt und gestärkt werden sollen, so dass Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeiter hoch sind, andererseits muss aber das Unternehmen seine eigenen Handlungsstränge immer wieder ändern, um auf Märkten erfolgreich zu bleiben.

Also, wie kann ein Unternehmen seine Innovationsfähigkeit und zugleich ein hohes Leistungsniveau, eine hohe Leistungsbereitschaft seiner Mitarbeiterschaft erhalten? Das bedeutet dann auch individuelle Veränderungsbereitschaft.

Nun ja, ein möglicher Weg könnte darin bestehen, die Belegschaft zu Eigentümern der Veränderung zu machen, was über die bloße Beteiligung oder Anweisung weit hinausgeht. Wer da aber nicht aufpasst riskiert schnell die Mitarbeitenden als Intrapreneure zu sehen und auch so zu behandeln, mit den entsprechenden, manchmal unerwünschten Folgen.

Ich meine, die Veränderungsfähigkeit einer Unternehmung betrifft unmittelbar ihre Kultur. Und das führt dann nicht nur zu der Frage, wie eine wünschenswerte Veränderungskultur aussehen könnte. Die ist wichtig und ein gutes Ziel, aber wie kommt man dahin? Da gibt es viele Aspekte, der Weg zur Veränderungskultur kommt nach meiner Erfahrung nicht ohne die Stabilität und Verlässlichkeit bestimmter, für die Beschäftigten höchst relevanter Rahmenbedingungen aus. Die Aufgabe der Unternehmensführung besteht so gesehen darin, für Verlässlichkeit zu sorgen, angesichts so vieler und dauerhafter Veränderungen. Dauerhafte – man könnte auch sagen nachhaltige – Veränderung und die notwendige individuelle Bereitschaft dazu ist voraussetzungsvoll und das wird oft übersehen. Sie fällt leichter, wenn das Unternehmen zugleich Stabilität produziert und bietet. Es stellt sich die spannende Frage, wie das möglich sein kann, ohne alle vier Dimensionen eines funktionierenden Handlungsstrangs zu verletzen. Antworten können nur für das jeweilige Unternehmen gefunden werden. Zweifellos gehören Integrität und Verlässlichkeit der Unternehmensführung zu den höchst relevanten Rahmenbedingungen der Beschäftigten.

Grannemann, U. / Seele, H. (2016): Führungsaufgabe Change